„Ach, hört auf. Iran? Da, wo du die Terroristen leben? Das ist doch viel zu gefährlich. Und dann auch noch mit dem Rad?“ So oder so ähnlich haben uns viele Leute beäugt, als wir ihnen von unserer geplanten Radtour durch den Iran erzählt haben. Tatsächlich hatten wir auch erst eine Tour durch Ost-Europa geplant. Irgendwie sind wir dann im Rahmen unserer Recherche auf die vielen positiven Resonanzen einiger Traveller über den Iran gestoßen. Nach anfänglichen Unsicherheiten waren wir uns sicher – das wird unser Reiseziel. Davor sollte es aber erstmal nach durch den Kaukasus gehen – Georgien und Armenien standen nämlich auch noch auf dem Plan.
Julius hatte sich in seinem Auslandssemester in Rostov ein Zimmer mit „George“ geteilt. Ein Besuch in Yerevan musste also auch noch irgendwie in die Route eingebaut werden. Und da wir schnell relativ preisgünstige Direktflüge nach Kutaissi (Georgien) gefunden haben, stand die Route schnell fest – Wir starteten vom östlichen Teil Georgiens in Richtung Osten nach Tiflis. Von dort ging es weiter südlich, wobei wir Armenien mehr oder weniger einmal senkrecht durchquerten. Im Iran würden wir entlang des Kaspischen Meeres auch gegen Süden fahren. So der Plan. Am Ende kam so einiges anders.
Der Abflug in Berlin Schönefeld war – wie sollte es auch anders sein – hektisch. Glücklicherweise hatten wir für den Transport Fahrradkartons vom Händler unseres Vertrauens bekommen. Es war soweit. 01. August, 6.00 Uhr morgens! Müssen die billigen Flüge immer so früh gehen? Glücklicherweise hat meine Freundin die Kartons mit dem Auto zum Flughafen gebracht. Da weder die Fahrräder noch die Taschen ins Auto gepasst haben, sind Julius und ich direkt von zu Hause mit dem Bike gestartet. Auf dem Weg haben wir die ersten Drohnenvideos gemacht. Und wurden direkt verwarnt. „Ey, habt ihr gerade die Baustelle gefilmt?“ sagte ein Bauarbeiter. „Natürlich nicht, warum bitte sollten wir eine Baustelle filmen“ antworteten wir. Ich war gerade dabei mich über die Unfreundlichkeit mancher Menschen aufzuregen. Aber egal. Runterschlucken, in wenigen Stunden atmen wir georgische Luft und sind in für uns völlig unbekannten Terrain. So landeten wir wenige Stunden später in Kutaissi. Die Fahrradboxen waren unbeschädigt. Puh, die erste Hürde haben wir überwunden. Nichts wie raus aus dem Flughafen. Draußen angekommen wurden wir sofort von einer Truppe von georgischen „Taxifahrern“ überfallen. Nein, danke. Wir brauchten kein Transport. Wir haben unsere Bikes zusammengebaut und sind die ersten 20 km stadteinwärts gefahren. Schnell überholten wir wilde Kühe auf der Straße, vorbeifahrende Autos hupten und winkten. Endlich Urlaub. Wir sind angekommen.
Am nächsten Tag ging die Tour los. Der direkte Weg nach Tiflis schien uns ein bisschen eintönig zu sein. Zu groß die Straße, zu viel Verkehr und zu viel stures geradeaus fahren. Also nahmen wir erstmal die kleinen Straßen Richtung Norden. Noch in der Stadt mussten wir gegen die ersten Anstiege jenseits der 20 % kämpfen. Die ersten Schweißtropfen liefen. Und die Strecke wurde nicht einfacher. Bald fuhren wir in der prallen Sonne durch die georgischen Wälder. Mal auf kleinen Feldwegen, mal auf asphaltierten Straßen. Aber immer ohne Verkehr.
Die pralle Sonne zwang uns zu vielen Pausen. Ein Gemisch aus Schweiß und Sonnencreme bedeckte unsere Rücken. Eigentlich war die Sonnencreme sinnlos, da wir sie sowieso alle paar Minuten wieder „runter geschwitzt“ haben. Egal, wir cremten uns trotzdem gegenseitig ein. Was für ein Anblick! Aber wir wollten nicht schon am ersten Tag einen Sonnenbrand bekommen. Der Iran lag ja schließlich noch in weiter Ferne.
Erster Stopp: Tqibuli. So haben wir uns die alte Sowjetregion vorgestellt. Nichts als alte, zerbröckelnde Häuser, wohin das Auge schaut. Die Suche nach einer Unterkunft stellte sich als ein Leichtes heraus – denn es gab nur ein Hotel. Zum Abendbrot gab es standardgemäß Schaschlik und frittierte Kartoffeln. Wie sich später herausstellte wurde das unser tägliches Abendbrot. Danach ging’s noch eine kurze Runde an die Stangen, wo wir von einem kleinen Jungen, der unzählige Liegestütze auf den Fäusten gemacht hat, eines Besseren belehrt wurden.
Am nächsten Morgen stand ein großer Anstieg bevor. Das war für uns der erste dicke Brocken. Nicht, dass wir sowieso erst relativ wenig Erfahrungen im Radfahren haben. Auch das Höhenprofil vom Berliner/ Brandenburger Umland sieht überschaubar aus, sodass längere Anstiege absolutes Neuland für uns waren. Die nächsten 20 km mit einem durchschnittlichen Anstieg von über 12 % machten uns das Leben schwer. Oben angekommen ging es auch direkt wieder runter. Und das alles bei schönsten Regen. Die Temperaturen fielen unter 15 Grad und viel zu sehen gab es leider auch nicht. Daher entschieden wird in Ambrolauri zu übernachten und am nächsten Morgen die Marschrutka (ein russisches Kleinbus-Sammeltaxi) in Richtung Tiflis zu nehmen. Dort lagen die Temperaturen jenseits der 30 Grad.
Wir schliefen in einem kleinen Hostel und genossen die zwei Tage in städtischer Umgebung. Ein Besuch im hochgeadelten Bassiani („Das Berghain des Osten“) durfte natürlich nicht fehlen. Leider war die große Halle geschlossen. Nachdem das Bassiani leider nicht vollends überzeugt hatte gingen wir noch ins Cafe Gallery. Ein anderer größerer Techno-Club, der in der internationalen Szene schon oft von sich aufmerksam gemacht hat. Grundsolide, leider aber auch nicht mehr.
Am nächsten Tag checkten wir leicht verspätet mit einem brutalen Kater aus. Und – wie sollte es auch anders sein – die Strecke aus Tiflis raus begann wieder mit einem 12%-igen Anstieg. Um 21 Uhr hatten wir gerade mal 20 km geschafft. In einem kleinen Dorf trafen wir auf Jugendliche, die gerade Fußball spielten. Unsere Frage, ob es irgendwo in der Nähe eine Unterkunft gäbe, verneinten sie. Aber sofort wurden wir zum gemeinsamen Barbecue eingeladen. 20 Minuten später hatten wir unser Zelt direkt neben der Feuerstelle aufgeschlagen und grillten Schaschlik über dem Feuer. Wir waren überwältigt von der grenzenlosen Gastfreundlichkeit der russischen und georgischen Jugendlichen. Zum Glück hatten wir kurz davor wenigstens noch zwei große Cola gekauft um wenigstens auch ein bisschen was beisteuern zu können. Aber diese sollten wir nicht öffnen. „Behaltet die Colas lieber für morgen. Ihr werdet sie brauchen“ scherzen die Jungs und reichten uns Bier. Der Abend wurde lang und intensiv. Ein Erlebnis, das wir nicht so schnell vergessen werden.
Und schon wieder standen wir mit einem Kater auf. Das muss aufhören. Weiter ging es Richtung Süden. Wir durchquerten zahlreiche georgische Wälder bevor wir uns im absoluten Niemandsland befanden. Das Grenzgebiet zwischen Georgien und Armenien schien noch weniger besiedelt zu sein als der Rest des Landes. Wir hatten Hunger und das Wasser ging uns aus. Nach einer unendlich langen Fahrt auf einem Feldweg, der zum größten Teil aus Schlaglöchern bestand, kamen wir endlich an den Grenzübergang. Unser erster Grenzübergang mit dem Rad. Ein bisschen Respekt hatten wir schon. Aber die Polizisten fragten gleichermaßen überrascht als auch interessiert was wir denn vorhaben. Sofort wollten sie Bier mit uns trinken. Da meilenweit kein Bierhahn in der Nähe war und wir eigentlich auch noch vor Einbruch der Dämmerung in der nächsten Stadt ankommen wollten verschoben wir das Bier auf den nächsten Tag. Zum Abschied riefen sie „Wir finden euch schon“ hinterher. Nun, wir waren gespannt. Nach weiteren 20 km kam das erste Dorf. Während ich Essen in einer Tankstelle besorgte fragte Julius die auf der Straße stehenden Menschen nach einer Übernachtungsmöglichkeit. Gleich die erste Gruppe konnte uns zwar keine Übernachtungsmöglichkeit anbieten, aber ein Angebot zum Kaffee & Kuchen konnten wir nicht ablehnen. Wo auf dieser Welt gibt es sowas? Wir hatten schon von der großen Gastfreundlichkeit der Länder im mittleren Osten gehört – aber das wir so oft von Menschen in deren zu Hause eingeladen werden hatten wir nicht erwartet. Wir setzen uns in den Hof und wurden mit Kaffee, Kuchen und Süßigkeiten versorgt. Die Fahrräder sollten wir an die Hauswand stellen – logisch, macht Sinn dachten wir. Das Auto muss dann noch in die Garage. Das Auto war am Ende eine kleine Herde von Kühen. Ja, hätte man sich denken können. Nachdem wir uns zwei Stunden mit der Familie über das unterschiedliche Leben in Armenien und Deutschland ausgetauscht hatten fuhren wir weiter nach Stepanavan. Dort hatten wir ein Zimmer in einem kleinen Homestay reserviert. Auf der Terrasse kamen wir von der netten Familie noch eine Nachhilfestunde im „Kürbiskerne-mit-den-Zähnen-Knacken“ und legten uns schlafen.
Der nächste Tag wird uns noch lange in Erinnerung bleiben. Nach vielen Stunden auf dem Rad kamen wir abends in einer kleinen Siedlung an und fragten wieder nach einer Unterkunft. Julius wurde von den Einheimischen mit dem Auto mitgenommen und zur potentiellen Behausung gebracht. Schon auf dem Weg wurden ihm die ersten Wodka-Shots angeboten. Die Unterkunft war phänomenal. Julius wurde zurückgefahren und wir folgten dem Auto erneut mit dem Rad zur Unterkunft. Kaum angekommen wurde uns in bester Pantomime-Manier verdeutlicht, dass jetzt erstmal ein paar Shots auf der Tagesordnung standen. 10 Minuten später saßen wir zusammen unter einer großen Laube im Garten und leerten Stück für Stück die Wodka-Flaschen. Sobald eine Flasche leer war wurde ein weiterer Freund eingeladen. Natürlich nur mit der Bedingung, dass neue Wodka-Flaschen mitgebracht werden. So saßen wir bis spät in die Nacht und hatten den größten Spaß unseres Lebens – mit Menschen, die wir gerade kennengelernt hatten und weder deutsch noch englisch sprachen. Als die letzte Flasche geleert war fielen wir betäubt ins Bett und die Armenier fuhren mit dem Auto jeder für sich nach Hause. Angst vor der Polizei muss dort eben niemand haben.
Nächster Morgen – wieder Kater. „Endlich sind wir bald im Iran. Da gibt’s keinen Alkohol“ seufzte Julius. Am späten Nachmittag fühlten wir uns endlich wieder in der Lage das Fahrrad zu besteigen. Aber weit kamen wir nicht. Zu groß waren die Nachwirkungen vom Vorabend und zu stark schien die Sonne auf unsere Köpfe. Wir fuhren nun durch den südlichen Teil Armeniens, beidseitig umgeben von Aserbaidschan. Man konnte zunehmend spüren, wie sich die Landschaften veränderten. Während wir in Georgien noch durch dichte Wälder fuhren und Armenien überwiegend aus einem Hochplateau zwischen 2.000 und 2.500 Meter bestand lag nun eine große (Halb)-Wüste vor uns. Wir passierten Tatev und fuhren durch entlegene Gebiete nach Kaplan. Direkt hinter dem großen Berg von Kaplan lag der Iran, das Land auf das wir am meisten gespannt waren. Es war nur metaphorisch, dass uns zu diesem Zeitpunkt ein großer Berg zum alten Persien trennte. Also noch einmal in die Pedale treten und dann ging’s auf eine lange Abfahrt. Ein paar hundert Meter vor dem Grenzübergang machten wir eine letzte Pause um lange Kleidung anzuziehen. Denn im Iran ist das Tragen kurzer Kleidung nicht erlaubt. Während es in der Regel gestattet ist ein T-Shirt zu tragen, müssen die Beine immer bedeckt sein. Am Grenzübergang angekommen wurden wir nett zu den entsprechenden Kontrollen begleitet. Der USA-Stempel aus meinen letzten Urlaub und die (mittlerweile leider kaputte) Drohne in meiner Tasche ließen den Blutdruck leicht anstiegen. „Ahhh you are from Germany. Good country. Good country“ rief der Polizist als er meinen Ausweis in der Hand hielt. Er stellte sich gerade auf, machte einen Hitlergruß und ließ uns passieren. Als wir ihm nett erklärten, dass Hitler kein guter Mann war lachte er nur und winkte uns weg. Okay, was soll man sagen. Immerhin sind wir ohne größere Probleme in den Iran gekommen.
Als wir unsere Taschen wieder am Bike anbrachten wurden wir von einem kleinen Iraner angesprochen. Nach kurzen Small-Talk fragte er uns, ob wir Geld umtauschen möchten. Jetzt und hier Geld umtauschen? Quasi auf der Straße? Wozu gibt es Wechselstuben? Ich checkte schnell den Wechselkurs (1 EUR = ca. 50.000 Rial) und fragte ihn welchen Kurs er uns anbieten könnte. Er erwiderte: „You give me 100 EUR and I give you 1 Million Rial“. Ich schluckte und musste mich erstmal an die Größenordnung der Zahlen gewöhnen. Im Internet hatte ich schon viel darüber gelesen, dass die Iraner sehr gern zwischen Rial und Toman (1 Rial = 10 Toman) wechseln und es für Touristen dadurch immer wieder zu Missverständnissen kommt. Trotzdem, hatte er uns gerade den doppelten Betrag vom eigentlichen Währungskurs angeboten? Da kann ja nur was falsch sein?! Julius und ich rechneten nochmal mit dem Taschenrechner nach und fragten ihn verwundert, warum er einen so guten Kurs macht. Er erklärte uns, dass im Iran eine Art Schatten-Finanzsystem besteht und Geld in der Regel immer auf der Straße mit Privatpersonen (die im Nachgang die Euros und Dollars wiederum auf dem Bazar verkaufen) getauscht wird. Wir waren uns dennoch unsicher und wechselten erstmal nur 20 EUR um erstmal ein paar iranische Rial in der Tasche zu haben. Für alle Reisende in den Iran ist noch wichtig zu erwähnen, dass keine EC- oder Kreditkarten-Abhebung und –Zahlung möglich ist. Es ist also unbedingt erforderlich mit genug Bargeld in den Iran zu reisen.
Hinter der Grenze begann das absolute Niemandsland. Die letzte feste Mahlzeit lag auch schon eine ganze Weile zurück. Und bis zur nächsten Siedlung waren es mindestens noch 50 km. Auf den langen Geraden suchten wir vergeblich Schatten. Der Sonnenstrahlen auf der Haut fühlten sich an wie kleine Nadelstiche. Hinter einen kleinen Dornenbusch legten wir eine Pause ein. Nur leider hat der Schatten des Dornenbusches kaum für uns beide gereicht, sodass wir auf dem roten Sandboden ganz eng zusammenrücken mussten. Stille, nichts als Stille. Einzig unsere Atmung war zu hören. Hin und wieder kam eine Fliege angeflogen, setzte sich kurz auf den Strauch und flog weiter. Endlich waren wir angekommen. Im Iran. Im Urlaub.
Am späten Nachmittag erreichten wir die Siedlung. Wir setzen uns an den Straßenrand und holten tief Luft. Keine zwei Minuten später waren wir umgeben von einer Gruppe Kinder und ehe wir uns umschauen konnten standen schon Obst, eine Suppe und schwarzer Tee neben uns. Wir wussten gar nicht was wir sagen sollten. Nach vielen Danksagungen und tiefgründigen Diskussionen über die besten Fußballspieler Europas verabschiedeten wir uns und stiegen wieder auf die Bikes. Doch die Beine waren leer. Wir ließen uns nieder und fragten, ob es irgendeine Transportmöglichkeit in Richtung Täbriz gebe. Sofort artikulierten die Kinder und Erwachsenen wild durcheinander und holten ihre Handys um – wir wussten ehrlich gesagt nicht wen – anzurufen.
Ein weiterer Tee wurde uns angeboten. Und Suppe. Und Obst. Immer wieder fragten sie uns, ob das Essen schmeckt und ob wir Nachschub haben möchten. Plötzlich zeigten sie uns den ausgestreckten Daumen nach oben. Sie hatten es geschafft einen Fahrer zu organisieren. Große Erleichterung fiel von uns ab. Kurz darauf kam ein großer hellblauer Pick-Up vorgefahren. Die Fahrräder wurden mit unseren Spanngurten auf der Tragfläche befestigt und los ging es. Es überraschte uns nicht, dass der Fahrer eine Thermoskanne mit Tee vorbereitet hatte. Nun wurde uns auch zum ersten Mal beigebracht, wie man im Iran (schwarzen) Tee trinkt. Die Zuckerwürfel werden nicht zum Tee zugegeben, sondern direkt in den Mund befördert. Dort hält man sie in der Mundseite fest bis man Schluck für Schluck den Tee trinkt und die Würfel sich langsam auflösen. So kann man auch mal ganz schnell 3 – 4 Würfelzucker für einen kleinen Tee verzehren. Gesund ist das sicher nicht. Aber wir sitzen ja auch nicht umsonst jeden Tag auf dem Bike und fahren bis die Sohlen glühen. Auch wenn wir uns kaum mit dem Fahrer unterhalten konnten hatten wir eine sehr amüsante Fahrt. Mit Händen und Füßen geht’s halt immer irgendwie. Auch beim Fahren.
In Täbriz standen wir erstmal vor dem großen Problem eine Unterkunft zu finden. Sämtliche Buchungsapps funktionieren im Iran leider nicht, bzw. sind sie verboten. Wir fuhren von Hotel zu Hotel und fragten nach freien Betten. 60 – 70 EUR/ Nacht?! Wo sind wir denn hier gelandet? Bisher ist alles so preiswert gewesen. Wir probierten es weiter. Nach ca. 15 Minuten hatten wir ein grundsolides Hotel gefunden – 3 EUR/ Nacht. Okay, alles wieder beim Alten.
Jetzt konnten wir auch das erste Mal (vorbereitet) Geld tauschen. Und siehe da, gleicher Kurs wie beim Wechselexperten hinter der Grenze. Es war schön zu wissen nicht abgezogen worden zu sein und hat uns auch gleich ein gutes Gefühl für die Ehrlichkeit der Menschen im Iran gegeben. Wir schlenderten ein bisschen über den Bazar und fragten einen Iraner, der gerade Mittagspause machte, ob er uns irgendein Cafe empfehlen könne. Daraufhin lud er uns sofort zu sich nach Hause ein. „Aber musst du nicht arbeiten?“, fragten wird. „Ach, das ist hier alles ganz flexibel“, erwiderte er. Wir waren uns noch ein bisschen unsicher und tauschten erstmal unsere Handynummern aus. Am späten Nachmittag lagen wir im Hotelzimmer und entschieden das Angebot von Jacob anzunehmen und mit den Rädern ans andere Ende der Stadt zu fahren. Wir waren gespannt wie der Abend verlaufen wird. Schließlich hatten wir uns mit Jacob nur kurz unterhalten und auch die Kommunikation in englischer Sprache ließ eigentlich nur oberflächliche Gespräche zu. Jacob wartete schon vor dem Haus. Man konnte spüren wie sehr er sich freute, dass wir seine Einladung angenommen hatten. „Ein Gast ist ein Geschenk Gottes“ antwortete er, als wir ihn erzählten wie überrascht wie von der unendlichen Gastfreundlichkeit der Iraner sind. Die Wohnung war minimalistisch eingerichtet. Wir saßen auf dem Boden und aßen zusammen. Jacob und seine Frau verrieten uns, dass sie eigentlich so schnell wie möglich aus dem Iran fliehen möchten und sich zum Teil sehr unterdrückt fühlen. Der Glaube an den Islam hat für die beiden nie existiert, doch das durften öffentlich nicht aussprechen. Wir redeten lange über die verschiedenen Welten und Ansichten in unseren Heimatländern und fuhren zu später Stunde noch gemeinsam zu einem Eisladen. „Wir zeigen euch das beste Eis, das ihr jemals gegessen habt“, versprachen sie uns. Nun, wir waren gespannt.
Tatsächlich waren wir mehr als überrascht wie cremig das Eis gewesen ist. Bestes Eis hin oder her. Dass der Iran bekannt für gutes Eis ist war für uns neu, bestätigen können wir das aber auf jeden Fall. Die nächsten zwei Tage zeigte Jacob uns die Stadt und lud uns ein, wo es nur ging. Wir wollten ihn im Gegenzug auch einladen. Aber das ließ es schlichtweg einfach nicht zu.
Die Straße nach Ardabil war ein dreispuriger Highway. Wir beschlossen also die nächsten 220 km mit dem Bus zu fahren. Jacob und sein Cousin brachten uns noch zum Terminal. Die letzen Tage gingen sehr schnell vorbei. Wir waren ein bisschen traurig, dass wir, nachdem wir Jacob gerade erst kennengelernt hatten, schon wieder weiterziehen mussten. Wir kamen abends in Ardabil an und machten uns erneut auf die Suche nach einer Unterkunft. Wie liefen noch ein bisschen durch die Stadt und probierten Honig. Denn jeder Laden in Ardabil verkaufte Honig. Frischen Honig mit Wabe. Wir kauften einen Vorrat um am nächsten Morgen mit frischen Lavash (eine Art ungesäuertes Fladenbrot) ein ausgedehntes Picknick zu machen. Danach hatten wir noch einen großen Anstieg vor uns, bevor wir die Bikes auf einer langen Abfahrt zum Kaspischen Meer rollen lassen konnten. Auf der langen Strecke überholten wir auf einmal einen anderen Radfahrer. Wir hielten an und quatschten eine Runde. Es stellte sich heraus, dass Adam aus Frankfurt a.M. kam und auf langer Reise nach Singapur war. Die nächsten drei Tage fuhren wir gemeinsam in Richtung Süden am Kaspischen Meer entlang.
Kurz vor Rasht trennten sich unsere Wege. Ich hatte während der Fahrt nochmal in googlemaps reingezoomt und geschaut, ob wir noch einen letzten Tee zusammen trinken können. Gerade hatte ich den Blick wieder nach oben gerichtet stand auf einmal ein Auto vor mir. Ausweichen konnte ich nicht mehr, bremsen auch nicht. Also fand ich mich auf der Straße wieder, das Fahrrad und die Taschen neben mir gestreut auf der Fahrbahn. Julius konnte noch rechtzeitig vom Rad abspringen und blieb unverletzt. Ich humpelte an den Straßenrand und sofort kamen alle Leute herbei gelaufen um zu helfen. Jetzt ist es also doch passiert. Wir wollten eigentlich unfallfrei bleiben. Ich hatte einen kleinen Schnitt am rechten Knöchel, was aber nicht weiter schlimm war. Viel problematischer war, dass ich mein rechtes Bein nicht mehr bewegen konnte. Wir gingen in das Restaurant, was sich direkt neben uns befand und warteten, ob sich der Schmerz verringerte. Leider negativ. Adam musste weiter, da er ein Wettrennen gegen die Zeit fuhr. In ein paar Tagen begann sein Visum für Turkmenistan und da dieses nur wenige Tage gültig ist (Transitvisum) durfte er keine Zeit verlieren. Der Kellner rief ein Taxi und wir schmissen die Fahrradteile ins Auto.
In Rasht angekommen gingen wir sofort ins nächste Krankenhaus. Trotz der netten Hilfe der Mitarbeiter konnte uns hier nicht wirklich weitergeholfen werden. Der Arzt wirkte leicht irritiert, als ich seinen Vorschlag eine Spritze in meinen Po gegen die Schmerzen zu geben, ablehnte. Die Schmerzen waren nicht groß – ich wollte nur wissen, ob/ wann ich mich wieder aufs Rad setzen kann. Naja, viel schlauer bin ich durch den Krankenhausbesuch leider nicht geworden.
Wir blieben zwei Tage in Rasht und hofften auf Besserung. Leider konnte ich das Bein nicht belasten und auch die Beugung und Streckung war nicht möglich. Die letzten 350 km nach Teheran mussten wir also mit dem Bus fahren.
Sina, ein iranischer Radfahrer hatte uns schon am Anfang der Reise auf Instagram angeschrieben und seine Hilfe angeboten. Während der gesamten Reise hatte er uns immer wieder bezüglich der Routenplanung und ähnlichen Fragen geholfen. An diesem Abend holte er uns von der Bushaltestelle ab und begleitete uns zum Hostel. Zwischendurch gab es wie immer Reis mit Schaschlick (und Eis) für alle.
Wir hatten über Couchsurfing einen Public Trip veröffentlicht. Daraufhin haben uns viele Iraner angeschrieben und gefragt, ob wir zusammen abhängen wollen. Teilweise wurden uns sogar Übernachtungsmöglichkeiten angeboten. Einer der Couchsurfing-User war Shahab, ein Maschinenbaustudent aus Teheran. Shahab wollte ab dem kommenden Semester nach Deutschland kommen um an der Uni in Hannover seinen Master zu studieren. Er zeigte uns Teheran, lud uns zu sich nach Hause ein und kochte Spaghetti mit Tomatensoße für uns. Das kannten wir von früher. Ich konnte leider immer noch nicht richtig laufen, sodass wir nur langsam die Stadt erkunden konnten. Viele Reisende warnten uns vor der hektischen und unsauberen Stadt, die mit 17 Mio. Einwohner eine der größten Städte war, in der wir jemals waren. Auf den Hauptverkehrsstraßen standen die Autos stundenlang auf sechs Spuren im Stau. Aber davon abgesehen zeigte uns Shahab viele schöne und ruhige Ecken. Nach zwei Tagen Stadtluft hatten wir aber trotzdem genug. Wir buchten einen Bus nach Isfahan und fuhren von dort weiter in die Wüste bei Varzaneh. Ein iranischer Touristenführer hatte Julius auf Couchsurfing angeschrieben und uns angeboten bei ihm zu schlafen und verschiedene Touren durch die Wüste zu unternehmen. Wir bezahlten für eine 1,5-stündige Taxifahrt gerade einmal 15 EUR. Die Unterkunft in Varzaneh war sogar kostenlos, wobei die Unternehmungen dafür ein bisschen teurer waren. Das erste Mal Wüste, wir waren aufgeregt. Die Fahrt in das sandige Gehege war weniger spektakulär. Nach ca. 15 Minuten bogen wir links von der großen Umgebungsstraße ab, durchfuhren ein Tor, welches durch Wachposten besetzt wurde und hielten wenig später vor einer großen Sanddüne an. Okay, das war’s? Tatsächlich war es so. Wir stiegen die Sanddüne hinauf, was bei mir aufgrund des Kreuzbandrisses ein bisschen länger dauerte, und schauten minutenlang in die weite (Wüsten)-Ferne. Die Sonne war schon langsam am Untergehen. Als wir wieder am Zelt ankamen war es schon dunkel. Grillhähnchen und Kartoffeln, angebraten über offenen Feuer standen auf dem Speiseplan. Als der helle Schleier vor dem Horizont immer kleiner wurde zeigten sich die tausenden Sterne am Himmel. Wir lagen einfach im Sand und starrten wortlos in den Himmel. Die Nacht brach herein und auf einmal hörten wir laute Musik und Stimmen. Wir mussten laut lachen, weil wir vorab bereits von vielen Leuten gehört hatten, dass die Iraner aufgrund der geltenden Verbote von Spaß und Freude oftmals in die Wüste fliehen um dort in bester Partyumgebung aus Autoboxen und –lichtern feiern. Also ging es wieder die große Sanddüne hinauf um zu schauen, wo genau die Musik ihren Ursprung fand. Und tatsächlich, ca. 300 – 400 Meter entfernt versammelte sich eine Gruppe jugendlicher Iraner und feierten in ausgelassener Manier. Wir entschieden uns an der Party teilzunehmen und wanderten durch den warmen Wüstensand rüber zur iranischen Wüstenparty. Offensichtlich gab es auch hier eine strikte Trennung zwischen männlich und weiblich. Wir entschieden uns für den sicheren Weg und gingen rüber zu der männlichen Kollegenschaft. Die Autolichter strahlten in die unendliche Weite der Dünen. Uns überkam ein komisches Gefühl als wir uns langsam der Gruppe näherten. Wie würde die Gruppe uns wohl empfangen? Zwei Deutsche, die barfuß nachts durch die Wüste marschieren und auf der Suche nach Gesellschaft sind?! Sie sahen uns aus ca. 20 Meter Entfernung und schienen tatsächlich ein bisschen verblüfft gewesen zu sein. Nach einer kurzen Vorstellung mussten sie lachen und fragten in einem hoffnungsvollen Unterton: „Do you smoke weed?“ Julius und ich tauschten einen kurzen Blickkontakt aus und mussten lachen. „Yes, of course“. Die Jungs waren alle noch relativ jung, Anfang/ Mitte 20 und kamen aus den benachbarten Orten. Wir waren verblüfft, wie erwachsen und cool diese Jungs wirkten. Wie immer wurden wir mit Essen überhäuft, während wir über die verschiedenen Lebenssituationen unserer Heimatländer philosophierten. Als es windig wurde und uns der Sand in die Gesichter peitschte gingen wir schnell ins Zelt. Wir waren acht Personen – im Kreis sitzend in einem 3 Personen Zelt. Die Zigaretten und Joints wurden sekündlich im Kreis herumgereicht. Da konnte man schon fast davon ausgehen, dass das Brathähnchen die schlechte Luft filterte. Man braucht nicht viel Fantasie um sich vorzustellen, wie die Luft in diesem Zelt war.
Leider ist das schon eines der letzten Ereignisse aus unserer Reise. Ich bin viel gereist, habe schon viele Länder gesehen. Und so sehr ich die Reisen auch mochte, ich wollte immer weiterreisen und etwas Neues entdecken. Dieses Mal ist es anders. Ich habe das Gefühl, als ob noch viele Geschichten im Iran verborgen liegen, die noch aufgedeckt werden möchten. Ich werde auf jeden Fall zurückkommen!
In Sachen Fortbewegung auf dem Rad hat sich aber mittlerweile einiges getan. Die Seitentaschen wurden durch Bikepacking-Taschen ersetzt. Das Alu Hardtail-MTB hat Platz gemacht für ein Carbon Gravelbike. Schaut bei meinen anderen Post vorbei und lest über meinen Weg zum SRMR und meine Ausrüstung.